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Aufgeregt, gestresst, ängstlich oder unaufmerksam?

 

Viele meiner Kunden haben das Problem, dass ihre Hunde in ungewohnter und/oder einer Umgebung mit mehreren bis vielen Reizen schnell sehr aufgeregt sind. In diesen Fällen ist es den Haltern oft nicht möglich die Aufmerksamkeit ihres Hundes länger als für einige Sekunden zu erhaschen.

 

Für einen Hund in einer für ihn unbekannten und anregenden Umgebung sind alle Sinne des Hundes auf das Erkunden gerichtet. Der gesamte Körper, Kopf, Ohren, Augen und Nase sind auf die Reize ausgerichtet. Sie nehmen Gerüche, Geräusche und auch Bewegungsreize wahr. Und das betrifft sowohl diejenigen, die aus Interesse an Jagdreizen, Fressbarem, Artgenossen, … die Umwelt erkunden möchten als auch für die, denen bestimmte Reize Angst machen.

 

In diesen Momenten sind die meisten Hunde so fokussiert, quasi wie gebannt, aber teilweise eben auch so überfordert durch die vielen gleichzeitig vorhanden Reize, dass sie eben nicht fokussieren können und ihre Aufmerksamkeit schon gar nicht auch noch mit uns teilen können. Ein Teil der Hunde ist in diesen Momenten also sogar extrem aufmerksam, nur ist ihre Aufmerksamkeit dann eben nicht auf uns gerichtet.

 

Betrachten wir das Ganze doch mal ehrlich aus einer menschlichen Perspektive

 

Wenn wir intensiv mit etwas beschäftigt sind, geht es uns doch eigentlich nicht viel anders. Angenommen wir leben auf dem Land und sind das erste Mal mit unserem Auto in einer uns fremden Großstadt mitten im Berufsverkehr mit Straßenbahnen und Sackgassen und Einbahnstraßen unterwegs. Während wir versuchen, uns auf den fließenden Verkehr, Fußgänger und auch noch die richtige Route zu konzentrieren, erwartet unser Partner plötzlich, dass wir uns für seine Anwesenheit auf dem Beifahrersitz interessieren. Wer bitte schön bekommt das entspannt hin? Aber auch, wenn wir uns intensiv auf nur eine Sache konzentrieren, entgleiten wir dem Hier und Jetzt manchmal so weit, dass wir Raum, Zeit und alles um uns herum vergessen.

 

Naja, und manchmal eben, da versuchen wir uns auf etwas zu konzentrieren, aber Reize, die auf uns einprasseln, lassen unseren Fokus immer wieder abdriften.

 

Sollten wir also jederzeit von unserem Hund seine volle Aufmerksamkeit uns gegenüber erwarten?

 

Nein, ich denke nicht. Aber, wir können unserem Hund sehr wohl beibringen, Ablenkungen, und ja, sogar sehr starke Ablenkungen auch mal zu ignorieren und/oder - zumindest aus unserer Sicht - adäquates Verhalten zu zeigen.

 

Das  geht übrigens rein auf die freundliche Art. Zum einen handelt es sich dabei um einen Gewöhnungsprozess. Zu einem gewissen Teil, ist aber auch Training nötig, nämlich dort, wo mein Hund bereits auf einen Reiz sensibilisiert ist und sehr stark reagiert. Dieses Training braucht zwar seine Zeit, ist dafür aber am effektivsten. Außerdem vermeidet man so, dass an anderer Stelle unerwünschte Verhaltensweisen auftreten oder sich Ängste entwickeln oder verstärken.

 

Da es meist mehrere Faktoren sind, die zur leichten Ablenkbarkeit unseres Hundes führen (mangelnde oder negative Erfahrungen, negativer Stress, hohe Erregungslage, …), braucht es auch mehrere Ansatzpunkte, um eine Veränderung zu bewirken.

 

Etwas was ich in den meisten dieser Fälle sehe, sind starker negativer Stress, Angst und/oder eine sehr hohe Erregungslage. Bin ich als Mensch stark gestresst, habe ich Angst, oder bin extrem aufgeregt, kann ich nicht klar denken. Und genauso geht es unseren Hunden. In solchen Momenten reagieren sie dann – auch genau wie wir – sehr schnell emotional und extrem impulsiv. Dies ist eine ganz natürlich ablaufende Reaktion. In diesen Momenten ist der denkende Hirnteil unseres Hundes, genau wie unserer in solchen Situationen, nicht zugeschaltet. Erschwerend kann noch hinzukommen, dass das Ganze auch mit genetisch bedingt ist, denn bei vielen Gebrauchshunderassen wurde auf eine niedrige Reizschwelle und hohe Impulsivität selektiert.

 

Welche Elemente und Ansätze beinhalten ein Training oder eine Therapie in solchen Fällen?

 

Wie gesagt, es bedarf zumeist mehrerer Elemente und ist für jedes Hund-Halter-Team individuell, denn es spielen Faktoren wie bisherige Lernerfahrungen, Gesundheitszustand, Trainingsstand, … eine Rolle.

 

Die häufigsten Elemente, die bei mir zum Einsatz kommen, sind die folgenden:

 

     Veränderung der Emotionslage und Erwartungshaltung beim Hund

 

Dies ist oft der erste Schritt und hier kann man gleichzeitig unheimlich viel erreichen, aber auch sehr viel falsch machen, denn je nach Art der Emotion und Erwartungshaltung gegenüber dem Auslöser / den Auslösern, sind die richtige Vorgehensweise und das richtige Timing essentiell, um z. B. Angst, Wut, eine hohe Erregungslage (auch freudig) und auch Stress auf Dauer nicht sogar noch zu verstärken.

 

Je nach Stärke der Emotionen und Erwartungshaltung beim Hund, kommt bei mir - häufig aus Gründen des Timings - zumindest zum Einstieg ein Markersignal (Markerwort oder Clicker) zum Einsatz.

 

Aufbau eines Alternativverhaltens

 

Alleine mit der Veränderung der Emotionen und Erwartungshaltung beim Hund haben wir den sprichwörtlichen Fuß in der Tür. Nun geht es darum, für unseren Hund ein Verhalten zu finden, welches er stattdessen ausführen kann. Warum das? Hunden, wie uns Menschen auch, fällt es wesentlich leichter etwas anderes zu tun, als einfach etwas sein zu lassen: Oftmals steckt hinter dem bisherigen Verhalten ja ein – aus Sicht des Hundes – triftiger Grund, also ein Bedürfnis. Dieses einfach zu unterbinden oder gar zu unterdrücken, mag zwar zu Beginn funktionieren, hat – meiner Erfahrung nach – aber über kurz oder lang immer negative Folgen, indem das unerwünschte Verhalten doch auf Dauer wieder gezeigt wird, und zwar stärker als zuvor, oder aber indem andere unerwünschte Verhaltensweisen, starke Stresssymptome oder sogar Erkrankungen auftreten.

 

Ein einfaches Beispiel:

 

Gehe ich mit meinem Hund an einer ruhigen Straße, mit wenigen zusätzlichen Reizen spazieren, und es kommt uns ein Artgenosse entgegen, kann er diesen problemlos passieren. Kommt uns auf einer Wanderung an einem Ort, wo viele Menschen, Geräusche, Gerüche und Artgenossen sind, ein Artgenosse entgegen, ist der Hund schnell hochgradig erregt, zerrt vielleicht an der Leine, schnuppert hektisch am Boden, schaut nervös hoch, schaut, links, schaut rechts, …, er tut sehr viel, nur ich scheine völlig ausgeblendet. In solch einem Moment kann es z. B., noch bevor mein Hund aufgeregt ist, sinnvoll sein, mit ihm etwas zur Seite zu gehen und ihn am Boden einige schmackhafte und gut riechende Leckereien suchen zu lassen.

 

Dadurch richte ich die Aufmerksamkeit meines Hundes auf eine Sache, dazu noch etwas was ihm gefällt. Mein Hund ist fokussiert und beschäftigt und wenn der Abstand groß genug ist, wird es auch dem anderen Hund helfen, die Begegnung ruhig zu meistern. Dies wiederum hilft meinem dabei, sich weiterhin fokussiert der Futtersuche zu widmen.

 

In diesen Momenten kann ich Hund auch leise und ruhig durch ein verbales Lob unterstützen. Dieses Lob sollte ihn aber keinesfalls ablenken. Auch hier ist dies nur ein Beispiel für einen möglichen, aber nur ersten Schritt. Je nach Ursache, Auslösern und Emotions- und Erregungslage des Hundes gestaltet sich dieser Schritt unterschiedlich und beinhaltet weitere Schritte, denn die Lösung ist – in den allermeisten Fällen – natürlich kein lebenslängliches Leckerchensuchen am Wegesrand.

 

Einsatz von Entspannung und Reduzierung möglicher negativer Stressoren

 

Für Hunde, die sehr schnell in eine sehr hohe Erregungslage geraten und dann schnell in impulsives Verhalten kippen (kurze Lunte) oder für die jeder Reiz höchste Ablenkung bedeutet, ist Entspannung auf verschiedenen Ebenen angesagt. Hier hat sich unter anderem die konditionierte Entspannung (Entspannungswort, Entspannungsduft, Entspannungszeichen) sehr bewährt. Hiermit chillen wir unseren Hund nicht ins Koma, aber wir können die Erregungslage damit niedrig halten oder soweit senken, dass er wieder ansprechbar ist.

 

Training unter langsam steigendem Schwierigkeitsgrad

 

     Die häufigsten Fehler, die dazu führen, dass sich nichts ändert, oder sich die Situation sogar 

     verschlechtert, sind die folgenden:

  • Kein Management (wenn nicht geübt wird, wird der Hund genauso gehändelt wie zuvor)
  • Zu wenig Training
  • Zu viel Training
  • Zu lange Trainingseinheiten
  • Inkonsequentes Training und Verhalten im Alltag
  • Schlechtes Timing
  • Mangelnde und nicht die richtigen Verstärker (z. B. Belohnungen)
  • Zu viel Ablenkung
  • Zu wenig Distanz zum Auslöser/zu den Auslösern
  • Ständig wechselnde Trainingsstrategien

     Wie immer bei der Arbeit mit Hunden stellt sich Erfolg nur ein, wenn wir Menschen unseren   

     Hunden das vorleben, was wir von ihnen erwarten. Ruhiges vorhersehbares Verhalten, 

     Verlässlichkeit, freundliches und für den Hund leistbares, aber konsequentes Training unter

     Beachtung seiner Fähigkeiten und Bedürfnisse. Dazu dann noch:

  • Das passende Lernumfeld
  • Erfolgserlebnisse - Aufhören, wenn’s am besten klappt
  • Kleinschrittige Vorgehensweise und kurze Übungseinheiten
  • Routinen im Alltag
  • Die richtigen Beschäftigungen
  • Vermeiden von zu viel negativem Stress im Alltag
  • Das richtige Lob
  • Die richtige Belohnung
  • Training nur, wenn man selber und auch der Hund motiviert sind
  • Sich nicht beirren lassen, auch wenn’s man nicht so gut läuft – Lernvorgänge haben immer ihre Höhen und Tiefen

Einem langfristigen Erfolg und gleichzeitig einer weit innigeren Beziehung zu unserem Hund steht dann eigentlich nichts mehr im Wege.

 

Klappt mal etwas nicht, dann bitte nicht darüber ärgern, sondern sofort an Ort und Stelle mit dem Hund etwas Schönes stattfinden lassen, damit die Situation für ihn und auch uns noch positiv verknüpft wird. Und nein, damit belohnen wir nicht sein unerwünschtes Verhalten, sondern retten eine Situation, indem wir sie halbwegs positiv beenden. Anschließend bitte zuhause überlegen, warum die Situation so abgelaufen sein könnte, und was man beim nächsten Mal anders machen möchte oder kann.

 

Dann läuft’s es beim nächsten Mal auch wieder besser. Versprochen!

 

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